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Zeraphine - Bedrohliche Stille

„Spannend und aufregend“ ist wohl die beste Beschreibung für die Situation, in der sich die Berliner Band Zeraphine seit einigen Monaten befindet. Nicht genug, dass die Musiker an ihrem neuen und damit vierten Album „Still“ (VÖ: 30. Juni 2006) werkelten – sie gründeten mit Phonix Records auch ihre eigene Plattenfirma. Um welche Art von Stille es bei der Platte geht, wie still das Album musikalisch ist und vieles mehr erzählte Sänger Sven Friedrich im Interview.

Ein eigenes Label gründen ist nicht gerade ein Schritt, den man mal eben so macht. Wie viele schlaflose Nächste gab es? Ohne Risiko ist das ganze schließlich nicht.
Ne, das ist mit einem hohen Risiko verbunden - vor allem für einen selbst. Und da gab es schon viele schlaflose Nächte, aber eigentlich wirklich nur in der Anfangsphase, in der wir es alle machen wollten, uns aber nicht sicher waren, ob wir das können. Wir haben mit vielen möglichen Partnern gesprochen, die uns eigentlich alle in dem Vorhaben bestärkt haben. Nach der Kalkulation waren wir dann auch relativ entspannt. Wenn Dir ein Label aber einen Batzen Geld anbietet, fragst Dich natürlich schon: „Bin ich jetzt eigentlich bescheuert?! Du könntest jetzt erstmal locker von der Musik leben!“ Aber das ist es dann doch wieder nicht wert, denn ich möchte morgens aufstehen und in den Spiegel blicken können.



Warum habt Ihr den Schritt gewagt: Waren die Angebote nicht passend? Zu beengend, zu wenig Freiheiten?
Das letzte trifft es ziemlich auf den Punkt. Wir waren vorher bei einer tollen Plattenfirma, bei Drakkar. Unser Vertrag ist ausgelaufen und unser Problem war, dass unsere Hauptperson dort ausgewandert ist – die Silke. Sie hätte zwar auch weiter die Promo machen können, aber sie hat für uns deutlich mehr gemacht und hat viele, viele Sachen für uns an Land gezogen. Viele Bereiche hätten gefehlt. Das war für uns der Grund, um nach anderen Firmen zu sehen. Wir haben mit einigen Majors gesprochen und es war auch teils großes Interesse da. Es war aber auch unmissverständlich, dass sie uns viel reingeredet hätten und das ist ein Kompromiss, den man ungern eingeht, weil man einfach nicht weiß, worauf man sich einlässt. Ich lasse mir gern von jemandem in die Musik quatschen, dem ich hundertprozentig vertraue und der dasselbe Ziel hat, aber bei Leuten, die wir nicht kennen, können wir alle diesen Kompromiss nicht eingehen. Und um Tokio Hotel in alt zu machen – dazu sind wir nicht bereit.

War es auch ein bisschen die Angst, bei einem großen Label etwas unterzugehen?
Man weiß bei solchen Firmen einfach nicht: Kommt irgendein großes Thema aus den USA, aus England oder auch aus Deutschland, in das sämtliche Kräfte und Energien hineingesteckt werden und hat dann überhaupt noch jemand Zeit für Dein kleines Album? Bei diesen großen Labels hat uns auch die Personalfluktuation gestört, das heißt, Du weißt nicht, ob Du mit den Leuten nachher noch zusammenarbeitest, mit denen Du am Anfang zu tun hattest. Es waren so viele Punkte, die dagegen gesprochen haben, so dass wir gesagt haben: Zu einem kleineren Label als Drakkar wollen wir nicht, die größeren kommen eigentlich auch nicht in Frage - schauen wir mal, ob wir es selbst hinbekommen. Wir haben das viel diskutiert, uns getroffen, Dinge durchgesprochen und kalkuliert und da wir im vergangenen Jahr sehr sparsam waren, hatten wir ein gewisses Startkapital, damit wir uns das überhaupt leisten können. Es hat einfach alles dafür gesprochen, die Dinge komplett selbst in die Hand zu nehmen. Und es ist wirklich gut und fängt an, sich auszuzahlen.

Euer Drummer Marcellus als Anwalt übernimmt mit Sicherheit dementsprechende Aufgaben. Macht Ihr den Rest gemeinsam oder wie sieht die Arbeit aus?
Wir haben alles nach Themen, Vorlieben und Kompetenzen verteilt. Logisch, dass Marcellus sämtliche Rechtssachen und alles, was mit Verträgen zu tun hat, regelt. Ich mache größtenteils die ganzen visuellen, also grafischen Sachen und Dinge, die mit der Promotion-Agentur zu tun haben. Manu macht hauptsächlich alles, was den Live-Bereich betrifft. Norman kümmert sich um den buchhalterischen Kram. Micha macht sehr viel Organisatorisches, die ganzen bürokratischen Sachen also und ärgert sich mit Ämtern herum. Unser Produzent Thommy Hein, der ja auch mit dabei ist, kümmert sich um die Marketingsachen. So decken wir eigentlich alles ab, was wir brauchen und wenn irgendwo etwas fehlt, springt einer ein, der gerade nicht so viel zu tun hat.

Das klingt nach einer Menge zusätzlichem Stress.
Es kostet definitiv sehr viel Energie, aber das ist auch nicht weiter schlimm, denn es bringt ja Spaß und ist extrem aufregend. Es ist zwar erheblich mehr Arbeit als vorher, aber wir bekommen das alles auf die Reihe, wir arbeiten ja auch mit Partnern wie einer Promotion-Agentur zusammen und auch der Vertrieb macht einiges an Arbeit. Wir haben vorher auch schon relativ viel selbst gemacht – die Dinge erweitern sich jetzt eben.




Was ist für die Zukunft geplant? Soll der Aufbau eines kleinen Labels mit weiteren Bands folgen?
Das wäre schon unser Ziel, allerdings müssen wir erstmal schauen, wie wir das ganze händeln können und wir wollten es auf keinen Fall irgendeiner Band zumuten, an ihnen herumzuexperimentieren - dann lieber an uns selbst. Aber es ist langfristig schon unser Ziel, daraus ein wirkliches Label mit anderen Künstlern zu machen. Dazu brauchen wir aber erstmal eine etwas stärkere Finanzdecke, damit man auch einen Flop im Notfall wegstecken kann, ohne gleich Pleite zu sein und das wird wohl noch einen Moment dauern. In unserer jetzigen Situation könnten wir auch keinen Newcomer unter Vertrag nehmen, bei dem wir nicht wissen, womit man rechnen kann. Da wäre das finanzielle Risiko einfach zu groß. Das ginge wirklich erst später. Wir haben ja jetzt schon ein gewisses Risiko, wobei das überschaubar ist, weil wir bei uns wissen, mit welchen Verkaufszahlen wir in etwa rechnen können.

Inwiefern hat sich die Gründung des eigenen Labels bereits bei der Produktion des neuen Albums ausgezahlt?
Obwohl uns unsere alte Plattenfirma nie in unsere Musik hineingeredet hat, waren wir dennoch irgendwie freier, weil wir nur noch uns selbst gegenüber Rechenschaft schuldig waren. Man hatte sonst immer noch so ein moralisches Ding im Kopf, da die Leute von der Plattenfirma ja Geld hineinpumpen und das Album verkaufen müssen und da sind wir dann vielleicht eher zurückhaltender gewesen. Jetzt ist es unser Geld, das da drin steckt. Wir haben uns auch einfach mal an ein anderes Soundgewand heran gewagt.

Und damit wären wir auch bereits bei der zweiten großen Veränderung: Der Weg zur neuen Platte war anders als sonst. Ihr ward dieses Mal nicht auf dem Bauernhof im Spreewald, um Songs entstehen zu lassen – eine bewusste Entscheidung, um etwas völlig Neues auszuprobieren oder hat es sich so ergeben?
Es war eine Mischung aus beidem. Ursprünglich wollten wir den Spreewald mit dem schließlich eingeschlagenen Weg verbinden. Dazu hatten wir aber irgendwie keine Zeit mehr. Wir haben uns dann entschieden, dass wir die Songs lieber zusammen im Studio spielen. Es gab auch dieses Mal nicht so wahnsinnig viele Fragmente im Vorfeld, die man erst zu Liedern zusammenbasteln musste, was bei den vorherigen Alben meistens der Fall war. Die Kompositionen waren dieses Mal alle schon relativ weit, insofern brauchte man diese Kompositionsphase auf dem Bauernhof nicht wirklich. Wir wollten das ganze mehr als Band erjammen. Jeder kannte die Demos, hat sich vorbereitet und dann haben wir die Songs im Studio einfach ganz oft gespielt und dabei die Arrangements fertig gestellt. Man konnte sich dabei in die Augen gucken und es war ein sehr, sehr fruchtbares Arbeiten.

Die Texte stammen aber weiterhin aus Deiner Feder, oder?
Ja, ich habe die Songs und auch die ganzen Texte über den Sommer und Herbst des vergangenen Jahres geschrieben, teilweise auch noch Anfang 2006.



Wie machst Du das eigentlich: Ihr habt in sechs Jahren vier Alben herausgebracht und seid mehr als nur tourfreudig – die Energie und die Ideen scheinen Dir aber nicht auszugehen…
Ne, bis jetzt hatte ich zumindest noch nicht so ein Loch – darüber bin ich auch sehr froh. Es gibt ja auch immer wieder Erlebnisse und Ereignisse, die einen doch sehr stark beeindrucken – positiv oder negativ und dann hat man wieder Ideen. Musikalische Ideen habe ich sowieso relativ viele und die sammle ich und setze mich später daran und versuche, daraus Lieder zu machen. Damit ergibt sich auch meistens das Thema des Textes. Die wirklich kompositorische Arbeit ist mit dem Zeitpunkt, wenn wir ins Studio gehen, abgeschlossen. Ein halbes bis dreiviertel Jahr später hat man auch eigentlich schon wieder neue Ideen.

Hattet Ihr Euch vorher Gedanken gemacht, in welche Richtung die Songs dieses Mal gehen sollen oder habt Ihr die Songs entscheiden lassen?
Letzteres auf jeden Fall. Bevor man ins Studio geht, setzt man sich aber natürlich zusammen und überlegt, in welche Richtung der Sound gehen soll. Die Komposition ist dann ja schon größtenteils fertig. Soll es eher schrammelig, eher härter oder eher weicher klingen ist dann die Frage. Wir hatten als ein vages Ziel vor Augen, ein bisschen dreckiger zu sein, wir wollten alles ein bisschen rougher haben, aber es sollte dennoch gut aufgenommen sein.

Das neue Album heißt „Still“, ein Titel, der sowohl englisch als auch deutsch interpretiert werden kann und in beiden Sprachen dieselbe Bedeutung haben kann – aber nicht muss…
Der Ansatz ist die Übersetzung in dem Sinne, dass das Englische „still“ eben auch still auf Deutsch heißen kann. Der Titel ist ja auch ein Songtitel, und wenn man das Lied nicht kennt, lässt der Name vermuten, dass es eben eher ruhig und still ist oder sich um etwas Ruhiges und Stilles dreht. Es geht in dem Song aber um eine andere Stille, um eine sehr bedrohliche und unangenehme Art von Stille. Das Lied hat erstmal eine gegensätzliche Wirkung zu dem, was eigentlich gemeint ist und wie auch der Song eigentlich ist. Das ist glaube ich zum Teil repräsentativ für das Album – dieser Gegensatz, der dieses Mal eben nicht so offensichtlich ist wie zum Beispiel bei „Blind Camera“.

Und wer nach dem Albumtitel denkt, dass Album sei still, wird eines besseren belehrt, auch wenn Ihr genauso ruhige Stücke auf der Platte habt. Einer ist „Halbes Ende“, der sehr ruhig anfängt, Deine Stimme ist extrem tief – das ist schon fesselnd.
Auf solche Songs wollen wir auch nicht verzichten. Sie gehören zu Zeraphine und werden auf jedem Album dabei sein. Das gehört einfach dazu. Und ich habe auf diesem Album auch wieder mehr geschrieen. Das hängt natürlich auch immer von den Songs ab und es bot sich auf dieser Platte wirklich an.

Komplett anders ist das Lied „Fang mich“. Der Song überrascht.
Ja, der ist sehr elektronisch, aber auch das ist eben ein Teil von uns. Das hat bis jetzt jedoch noch nicht so viel Raum gehabt wie in diesem Song und das fanden wir spannend.

Am meisten in den Magen geht meiner Meinung „Nur ein Tag“ – welcher Song ist es bei Dir? Oder geht ein Song nicht wirklich in den Magen, wenn Du noch so dicht dran bist?
Doch auf jeden Fall. Es berühren mich sowieso alle Songs, weil ich mit ihnen sehr persönliche Sachen verbinde, aber „Nur ein Tag“ nimmt mich jedes Mal extrem mit, wenn ich ihn höre oder auch, wenn ich ihn singe.



Lass uns einmal in einige Texte gehen: „Niemand kann es sehen, wenn Welten untergehen“ ist eine Textpassage. Bist Du denn jemand, dem man es schnell anmerkt, wenn eine kleine Welt untergeht – es muss ja nicht immer die ganz große sein?
Ich glaube, man merkt mir immer alles sofort an. Ich kann irgendwelche Gemütszustände bei mir sehr schlecht unterdrücken. Insofern sieht man mir denke ich schon an, ob ich mich gerade wohl fühle oder nicht, ob ich gerade sauer bin oder freundlich gestimmt - auf jeden Fall die Leute, die mich ein bisschen besser kennen.

„Ein Gewirr aus Gedanken schleift hinter Dir her. Und Du stolperst, es bremst und Du fällst“ singst Du in „Nichts aus Liebe“. Ich interpretiere da die Geister der Vergangenheit hinein, die einen verfolgen, nicht loslassen, am Weitergehen hindern, zu viele Gedanken, Dinge zerdenken usw. – manche Menschen sind da sehr gut drin, wie ist es bei Dir?
Der Song ist eigentlich weniger auf meine persönliche Vergangenheit bezogen, sondern auf die Gedanken, die man immer mit sich herumträgt, über die man stolpert. So geht es mir eigentlich häufig – nicht dass ich darüber falle, aber dass ich stolpere.

Leichter, aber nicht unbedingt besser haben es diejenigen, die alle Gedanken in einen Schuh packen und ihn weit von sich werfen können.
Es kann ja auch etwas sehr Positives haben, über verschiedene Sachen zu stolpern, das kann auch Kraft geben. Ich glaube, wenn es nicht so ist, dann ist man möglicherweise zu unbedarft. Ich gewinne dem eher etwas Positives ab, auch mal über Gedanken zu stolpern oder auch mal über sie zu fallen.

„Es ist still – von hier bis zum Rand der Welt. Die Träume sind verstummt“ ist eine weitere Textzeile. Welcher Traum lebt gerade bei Dir?
Es gibt immer ganz viele Träume, das ist echt schwierig zu sagen. Im Moment dreht sich wirklich alles um das Album, weil es durch diesen Schritt, den wir uns aufgebürdet haben, einfach das erste Mal ist, wie die Dinge jetzt laufen. Momentan ist es daher wirklich der Traum, dass wir die Dinge mit dem Album und dem Label gut über die Bühne bekommen und vor allem, dass den Leuten die Platte gefällt. Darum dreht sich gerade mein Leben.

Vor einem knappen Jahr lag gerade etwas anderes Aufregendes in Deinem Leben vor Dir: Ihr habt im vergangenen Sommer in der Berliner Wuhlheide als eine von drei Support-Bands von The Cure gespielt. Was für ein Erlebnis war das für Dich als The Cure-Fan?
Ich bin seit ich zwölf Jahre alt bin großer The Cure Fan. Diese Band hat mich komplett durch meine Jugend begleitet. Ich verbinde mit jedem Album spezielle Zeitabschnitte in meinem Leben. Das ist wirklich phänomenal. Wir haben bereits zwei Mal auf demselben Festival wie The Cure gespielt, aber ist war natürlich etwas anderes, als wenn man ein Konzert von The Cure supporten darf und weiß, dass Robert Smith sich unsere Homepage angesehen hat, sich unsere CDs angehört hat und gesagt hat: „Das ist cool. Die sollen da spielen.“ Ich habe zum Glück erst davon erfahren, als schon sicher war, dass es klappt. Ansonsten wäre ich wahrscheinlich die Wände hochgegangen. Es war schon extrem beeindruckend, auch wie entspannt die Band ist – inklusive Robert Smith.

Du hast ihn also getroffen?
Wir haben danach noch mit ihm sprechen können. Ich bin wirklich extrem beeindruckt von diesem Typen und auch von der Band. Sie haben beim Soundcheck noch ein bisschen geprobt, allerdings ohne Robert, der noch nicht dabei war. Es war schon toll! Und ich habe mit ihm gesprochen!
Autor: Melanie Haack, translation: Sanne Peeters
Eingetragen am: 2006-06-29

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