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New York Dolls - Ein Hauch von Dolce und Gabbana über der Müllhalde

Mein Gott, wie klein die beiden einzigen überlebenden Ur-Dolls Syl Sylvain und David Johansen doch sind, wenn man ihnen nach all den Jahren persönlich gegenübersteht: Beim gitarrespielenden musikalischen Direktor Sylvain konnte man das zwar vermuten, dass er es mit Mühe und Not jedoch auf 1,60 Meter schafft, ist dann aber doch eine "kleine" Überraschung. Noch härter bei Sänger David Johansen: Der Mann der zumindest auf dem ikonischen Cover ihres legendären ersten Albums riesig wirkt, knackt die 1,70 Meter-Marke ebenfalls nicht.

Das ist auf den ersten Blick aber auch die einzige Gemeinsamkeit, während Sylvain extrem freundlich wirkt, eine irgendwie "glamouröse" Ausstrahlung besitzt und in emotionalen Momenten schon mal Körperkontakt zu seinem Gesprächspartner sucht, ist Johansen ganz der arschcoole New Yorker. Mit Lederjacke und Sonnenbrille stolziert er durch den Backstage-Bereich und macht mit Grabesstimme sarkastische Bemerkungen, in der einen Hand eine Zigarette, an der anderen seine Freundin, die faszinierenderweise wie eine weibliche Ausgabe von ihm selbst wirkt und die 50 ebenfalls schon hinter sich hat. Wenn er die Sonnenbrille senkt, offenbart er ein intelligentes Paar Augen, welches hellwach in seinem zerfurchten Gesicht leuchtet und das Gegenüber sorgfältig abscannt. Dabei bleibt es heute jedoch, da er seine Stimme schonen möchte, überläßt er den "offiziellen" Teil lieber Sylvain und so nehmen wir an einem Tisch im oberen Teil des Berliner White Trash Platz. Sofort fällt mir auf, dass der Man extrem gut riecht. "Dolche und Gabbana!" flüstert mir meine Freundin in einem unbeobachteten Moment zu, während Sylvain Pinot Grigio und einen Salat mit Shrimps ordert, wobei er peinlich darauf achtet, dass diese nicht frittiert sind. Als die Formalitäten geklärt sind, bringt er sein Gesicht dicht vor meines und klimpert auffordernd mit den Augen, das Interview kann beginnen. Was hält der für die größte Fehleinschätzung bezüglich der New York Dolls? Syl nimmt einen Schluck Wein und holt ohne zu zögern aus: "Ich denke, diese ständige Behauptung, dass wir vom Pech verfolgt wären, schlechtes Karma hätten. Wenn ich alles noch mal machen könnte, würde ich so gut wie gar nichts ändern, denn auch das ist Teil Deiner Musik, es läuft eben nicht immer alles super, das macht doch letztendlich auch das Leben aus: Es geht ständig auf und ab und Du setzt Deinen Rock N´Roll dagegen!" Letzteres sagt er mit einem Lachen, bleiben wir bei "Fehleinschätzungen", eine Andere besteht darin, dass gewisse Menschen, die alt genug sind, die New York Dolls in den frühen Siebzigern gesehen zu haben, kaum eine Gelegenheit auslassen, zu behaupten, wie sehr Produzent Todd Rundgren doch das Debut der Band versaut habe – sieht er das genauso so? Seine Stimme wird urplötzlich extrem emotional, er schüttelt wie wild den Kopf: "Oh nein, absolut nicht! Das ist total daneben, ich denke, dass diese Leute kein Recht haben, sowas von sich zu geben. Rundgren hat den bestmöglichen Job geleistet und ich bedauere es immer noch, dass wir ihn nicht auch für die Zweite gewinnen konnten, ich hätte gerne nochmal mit ihm gearbeitet!"


Photo: hfr. by John Scarpati

Als Euer erstes Album dann im Sommer 1973 erschien, weigerten sich sofort etliche Läden eine Platte mit so einem Cover zu verkaufen und...Leider kann ich den Satz nicht beenden, da Syl laut loslacht: "In Spanien war das Photo sogar verboten, da man uns für Homosexuelle hielt. Mir war das seinerzeit überhaupt nicht bewußt, aber vor ein paar Jahren war ich dort, gab ein paar Autogramme und sah zum ersten Mal eine spanische Pressung: Kein Photo, das Cover komplett grau mit dem pinkfarbenen Schriftzug bei dem sie allerdings auch den Lippenstift entfernt hatten and that´s it! Damals waren die Dinge echt noch ein wenig anders, wir mußten eine Menge Barrikaden einreißen. Dazu kam der Aspekt, dass man Leuten wie uns nicht zugestehen wollte, Platten aufzunehmen, da wir angeblich nicht gut genug wären, die Instrumente nicht wirklich beherrschen würden und ohnehin keine Ahnung vom Songwriting hätten. Aber mit der Zeit ändern sich die Dinge glücklicherweise!" Aber als ihr damals ausgerechnet dieses Bild ausgesucht habt, wart Ihr Euch nicht der Risiken bewußt? Ich meine, hieltet Ihr das wirklich für eine ganz normale Art der Covergestaltung? Er grinst: "Genaugenommen war das meine Schuld, ich war damals im der Bekleidungsbranche tätig und interessierte mich sehr für Mode. Wir haben schlappe drei Jahre gewartet, um einen Vertrag zu bekommen, diese Platte machen zu können und als es dann ans Cover ging, schleppte uns die Plattenfirma in ein Antiquitätengeschäft in NYC. Der Laden war zwar cool und hatte absolut alles da, trotzdem mochte ich ihren Vorschlag nicht, es war nun mal unser Album, wir würden wahrscheinlich nur dieses eine machen, weil wir uns danach entweder sofort auflösen oder das Publikum uns ohnehin nicht mögen würde. So rief ich meine Freunde aus der Modewelt an, es gab da diesen erfahrenen japanischen Photographen namens Toshi, und mit dem gingen wir daran, die Szene des Covers zu entwickeln. Das Sofa auf dem wir sitzen, fanden wir im Müll, es stand auf der Straße, brachten es hoch in die Loft, bezogen es mit weißer Seide und schleppten all unsere privaten Dinge an: Zigaretten, Rollschuhe, was immer wir hatten brachten wir mit und so entstand das Bild. Es ging uns einfach darum, unsere Persönlichkeit abzubilden, nicht irgendein Image, dass sich die Plattenfirma ausgedacht hatte, ob der Rest der Welt davon schockiert sein oder es einfach ignorieren würde, war uns komplett egal. Um ehrlich zu sein, haben wir dieses Cover in allererster Linie für uns selbst gemacht. Was dann daraus wurde, ist eine andere Sache, uns erschien diese Pose tatsächlich extrem normal, unverfälscht und einfach natürlich. Wir waren so eine Art verrückte ´Walking-Talking-Art-Show´, nur dass man unsere Kunst niemals in Museen oder Gallerien finden würde, sie bestand darin auf der Straße rumzulaufen, zu reden und unsere eigene Kunst zu leben. Wir waren die Kunst und das symbolisiert dieses Bild absolut perfekt. Der Rest der Welt war eben schockiert!" Aber jenseits dieses Bildes, was war so schlimm an den New York Dolls, ich meine vorher gab es Suicide, die MC5, The Stooges, Alice Cooper war im März 1973 sogar mit dem "Billion Dollar Babies"-Album auf Platz Eins der US-Charts, warum habt ausgerechnet Ihr den ganzen Ärger abbekommen? Syl wiegt den Kopf, denkt kurz nach und schaut mir direkt in die Augen: "Wenn ich ganz ehrlich sein soll, waren wir einfach die Ersten, die diese ganzen gesellschaftlichen ´unerwünschten´ Dinge auf einmal repräsentierten, zumindest, wenn man uns oberflächlich betrachtete. Doch schau hinter die Klamotten, nimm die Schminke weg und Du wirst den Blues finden: Drei-Akkorde, improvisierte Soli, erotisch angehauchte Songs, Texte aus dem Alltag.


Photo: hfr. by John Scarpati

Wir waren den anderen damals einfach verdammt weit voraus und dafür trat man uns kräftig in den Hintern, dabei ging es uns wirklich nur darum, unser Leben zu leben und Kunst zu machen. Wir haben uns niemals jemand untergeordnet, nicht der Plattenfirma..." Mit Blick auf das Diktiergerät zwischen uns: "Nicht der Presse, einfach niemand! Noch nicht mal unseren Freundinnen!" Bei letzterem Satz zwinkert er meiner Freundin zu, wir müssen lachen, doch Sylvain führt den Gedanken fort: "All das führte dazu, dass wir hinfielen, uns das Bein brachen und die Zielgerade niemals erreichten!" Auch, wenn er es gerade beantwortet hat, stelle ich ihm explizit die Frage, wegen der ich im Frühjahr ´ne Menge Ärger hatte, als alle möglichen Leute plötzlich im Zuge des Lordi-Erfolges der Ansicht waren, dass Kiss das Make-Up im Rock erfunden hätten und ich mich dem entgegenstellte. Die New York Dolls waren die Ersten und inspirierten Kiss – richtig? Er verdreht lächelnd die Augen: "Also wirklich: Ich hasse es ja, dass Du mir diese Frage überhaupt stellst, das ist schon peinlich. Klar waren die Dolls früher, das war 1971, da hat sich kein Mensch sowas getraut, wir waren ganz allein auf weiter Flur. Natürlich gab es vorher Suicide, Iggy Pop oder die MC5, aber wir hatten einfach die volle Dröhnung und traten diese verdammte Türe ein. In New York folgten dann recht schnell Patti Smith – die ich immer noch sehr schätze - , Talking Heads, Blondie, aber wir waren die Ersten. Versteh´ mich nicht falsch, ich bilde mir da nichts drauf ein, aber die New York Dolls waren einfach die erste Band, die von den Leuten als ´Punk´ bezeichnet wurde. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich da nie besonders scharf drauf war, aber so sind die Menschen eben, sie mußten es ja irgendwie verkaufen. Dann kam irgendwann das ´Punk´-Magazin und selbst die normalen Kids fingen an, sich entsprechend zu stylen, aber damit hatten wir absolut nichts zu tun, wir machten einfach unser eigenes Ding. Und das schnappten sie sich und machten was Großes draus, was ja durchaus in Ordnung ist, ich hasse nur diese verdammten Etiketten: ´Levi´s´, ´Coca Cola´ und als nächstes..." Schaut mir in die Augen, hebt die Arme und fährt theatralisch fort: "PUNK!" Jetzt lacht er schallend, aber das Anliegen ist ihm ernst und er hakt nach: "Du verstehst, worauf ich hinaus möchte – oder?" Klar, in Zeiten, in denen man seine The Clash- und Ramones-T-Shirts bei H&M kaufen kann, ist das leider kaum noch zu ignorieren. Wenn wir aber gerade beim Vermarkten sind, kommt Malcolm McLaren eine zentrale Rolle zu, war er nicht ein wenig frustriert, als dieser damals nach London abhaute und mit den Sex Pistols auf ganz großer Ebene das abzog, was vorher mit den Dolls nicht geklappt hatte? Er zuckt die Schultern: "Er ist nun mal ein Geschäftsmann, das geht schon in Ordnung. Ich machte Malcolm mit den New York Dolls bekannt. 1971 waren ich und unser erster Drummer Billy Murcia (Anm. Am 6.11.72 in London in der Badewanne ertrunken) mit unserer Klamottenfirma ´Truth And Soul Sweaters´ auf einer New Yorker Mode-Convention und ganz hinten in der Halle war dieses britische Pärchen Malcolm McLaren und Vivien Westwood, die gerade ihren ersten Laden namens ´Let It Rock´ eröffnet hatten und dort Rockabilly-Zeug verkauften.


Photo: hfr. by Jeff Fasano

Diese Shows gingen damals von Freitag bis Sonntag, wobei die Designer am letzten Abend immer ihre Ausstellungsstücke verkauften und jeder kostenlos rein konnte, weshalb ich David und unseren Gitarristen Johnny Thunders (Anm.: Am 23.4.1991 in New Orleans ermordet) anrief, da ich sie unbedingt meinen neuen englischen Freunden vorstellen wollten. Sie kamen vorbei, deckten sich bei ´Let It Rock´ mit coolen Klamotten ein und im Gegenzug luden wir Malcolm und Vivien zu unsrem Gig am Abend ein. Und so verliebten sie sich in die New York Dolls, vor allem Vivien. Entgegen der öffentlichen Meinung, war Malcolm niemals unser Manager, er war unser Freund, bevor wir auseinanderbrachen waren wir in einem ziemlich desolaten Zustand: Manager weg, Alkohol, Drogen, Probleme mit der Liebe..." Grinst dreckig: "...mit Sex, mit so ziemlich allem eigentlich. Und in dieser Situation rief ich McLaren an, der ständig auf unseren Konzerten war und weil er die Dolls so sehr liebte, wollte er uns einfach ein bißchen helfen, sehen, was er tun könnte. Wir hatten nichts dagegen, er mietete uns eine Loft an, in der wir neue Stücke proben konnten, David und ich schrieben ´Red Patent Leather´, auf den wir dann unsere Konzerte aufbauten. Mit McLaren hatten wir niemals einen Vertrag, er war ein Freund und als wir 1975 in Florida endgültig zerbrachen, traf ich mich alleine mit ihm und wir fuhren nach New Orleans. Dort fielen dem Guten die Augen aus dem Kopf, die Bourbon Street hatte damals noch diesen typischen Vibe, es gab da diese ganzen Schallplatten-Geschäfte und McLaren drehte fast durch, denn dort bekamst Du fast alle alten Blues-Scheiben aus den Vierzigern und Fünfzigern für die Du in England bereits ein Schweinegeld hinlegen mußtest für einen Dollar!" Er schaut mich nachdrücklich an: "Keine Nachpressungen, die alten Originale! Und bei diesem Ausflug sagte er irgendwann, dass ich mir doch keine Sorgen machen sollte, im Londoner Klamottenladen (Anm: Die legendäre ´Sex´-Boutique) von Vivien hingen so viele Kids ab, dass er schon eine Band für mich zusammenstellen würde. Ich gab ihm meine Gitarre, mein Klavier, er wollte es in England verkaufen und mir dafür ein Flugticket schicken. Und weißt Du was?" Er lächelt: "Darauf warte ich heute noch!" Keine bitteren Gefühle? "Nein, wir haben immer noch Kontakt, der Typ ist schon in Ordnung, bei unserer Reunion 2004 schrieb er sogar diesen netten Artikel im britischen Guardian. Vivien hat ein Rad ab, sie ist die Künstlerin, während Malcolm eben mehr der Geschäftsmann ist!"


Photo: Oliver Mahr

Lass uns kurz über das neue Album sprechen, zum ersten Mal gibt es da Songs, die man fast als ´Balladen´ bezeichnen könnte, wird man mit dem Alter milder? "Ich eigentlich nicht so sehr..." Aber Du hast sie doch geschrieben! "Naja...aber es ist nicht so, dass Du mit dem Alter langsamer wirst, nimm´ doch ´Lonely Planet Boy´ vom ersten Album oder Johnny Thunders berühmtesten Song ´You Can´t Put Your Arms Around A Memory´, das geht alles als Ballade durch. Johnny hat sowieso mehr Balladen geschrieben als alle anderen: ´Sad Vacation´, oder..." Er denkt verzweifelt nach: "Verdammt, wie hieß das doch gleich..." Um ihn ein wenig zu ´kitzeln´, erwähne ich den Heroin-Song "Chinese Rocks", woraufhin er schallend lacht und mich in die Seite knufft: "Also das ist doch keine Ballade, Du dreckige Ratte willst mich wohl veralbern! Lass es mich so sagen: Es sollte in Deinem Programm den Punkt geben, an dem Du das Tempo drosselst, Du kannst nicht den ganzen Abend so machen:" Spielt stakkatoartig eine Luftgitarre "Da-Da-Da-Da-Da! Dein Auftritt sollte doch eine ganzheitliche Erfahrung darstellen und das Publikum gefangen nehmen!" Er schweift ab: "Mich könntest Du auf jedes Konzert stellen, selbst zur schlechtesten Band im Universum und ich würde zumindest einen einzigen Aspekt an ihnen finden, der brillant ist. Ich glaube, dass jeder Mensch eine solchen Aspekt hat, Du musst ihn nur ausfindig machen..." Mit Lächeln: "Was manchmal gar nicht so einfach ist!" Es ist ein billiger Trick, aber ich kann mir nicht verkneifen, ihn zu fragen, wo er das Brillante an George W. Bush suchen würde, Syl atmet tief aus: "Oh mein Gott, bitte erwähn diesen Menschen nicht mal. Was willst Du eigentlich damit bezwecken?" Naja...Du sagtest gerade, dass jeder was Brillantes hat und da fragte ich mich...Syl rauft sich die Haare, aber zum Glück springt meine Freundin in die Bresche: "Er sprach doch über Musiker!" Sylvain prostet ihr lächelnd zu ("Thank you Lady!") und wendet sich triumphierend an mich: "Genau, ich sprach gerade von Musikern und ich wette mir Dir, dass das Einzige, was Bush über Musik weiß, etwa so aussieht:..." Er macht ein dümmlich-ratloses Gesicht: "Hmmmmmmmmmm! Ein einziges großes Fragezeichen!" Apropos "Fragezeichen", glaubt er eigentlich, dass den New York Dolls nach all den Jahren jetzt doch noch Gerechtigkeit widerfährt? Er überlegt: "Naja...ich bin mir nicht sicher, unser Vermächtnis ist noch nicht fertig, das muss noch geschrieben werden und deshalb sind wir angetreten! Als wir 2004 auf dem Meltdown mit unserem Bassisten Arthur Killer Kane auftraten, war er bereits ziemlich krank, aber er hatte all´ die Jahre darauf gewartet, endlich wieder eine New York Doll zu sein. Wahrscheinlich hatte er es sich mehr gewünscht, als wir alle zusammen, da wir alle irgendwie solo erfolgreich waren..." Denkt kurz nach, fügt leise an: "Naja...wenn ich da an mich denke, sollte ich vielleicht nicht das Wort ´erfolgreich´ benutzen, lass es mich so ausdrücken: Einige von uns kamen ganz gut zurecht, aber Arthur wollte die New York Dolls zurück und als er dann so kurz nach dem Konzert starb, war das ein echter Schlag, ich dachte nur: ´Oh nein, jetzt geht es wieder los!´ Alle Bemühungen vergeblich, zurück zu Null, ich schrieb damals E-Mails an alle mögliche Freunde und bat sie um Rat, da ich keine Ahnung hatte, ob David und ich das zu zweit durchziehen oder einfach vergessen sollten. Eine der Personen, die sofort reagierte war Morrissey, er sagte ´Sylvain, Ihr müßt weiter machen, denn der Planet muß erfahren, wer die New York Dolls sind und es ist Eure Aufgabe, dem Publikum das zu erklären!´ Das traf mich direkt hier..." Legt die Hand auf sein Herz und fährt fort: "Daraufhin rief ich David an und erklärte ich ihm, dass wir wohl keine Wahl haben." Er schaut mir erneut in die Augen: "Ich bin nicht mehr so jung, aber ich bin auch noch nicht so alt und ich habe nicht vor, irgendwohin zu gehen, aber..." Mit leiser Stimme: "...wenn ich eines Tages abtrete, hoffe ich, dass die Jungs ohne mich weiter machen, denn Morrissey hat Recht: Die Leute müssen erfahren, wer die New York Dolls sind!"


Photo: Oliver Mahr

Die Interviewzeit läuft langsam ab, also stelle ich ihm die letzte Frage: Was ist das Netteste, was er über David sagen kann? Er schluckt: "Über David? Lass mich nachdenken, das ist ´ne schwere Frage..." Er zwinkert: "Nicht etwa, weil David so ein schrecklicher Mensch ist, sondern, weil es da so viele nette Dinge gibt. Ich glaube, das Beste, was ich über ihn sagen könnte ist, dass unsere Beziehung weit über die Musik hinaus geht, das ist eine sehr spezielle Freundschaft. Bis in die Achtziger haben wir zusammen gearbeitet, ich habe Songs für seine ersten drei Solo-Alben geschrieben, ´Funky But Chic´ etwa, kennst Du das?" Klar, einer der coolsten, aber untergegangenen Song-Titel überhaupt. Du hast doch auch "Girls, Girls Girls" geschrieben, Syl überlegt: "Nein! Oder?" Er überlegt weiter, schlägt mir auf den Schenkel und lacht: "Mann, Du hast recht, das ist so lange her, dass ich manche Dinge schon wieder vergesse!" Die Promoterin kommt und weist ihn darauf hin, dass er gleich noch ein Interview geben muß, aber Sylvain bleibt unnachgiebig: "Zwei Minuten noch, wir sind doch schon bei der letzen Frage!" Und zu mir gewendet: "Also David und ich hatten nicht nur diese ´Arbeitsbeziehung´, es war erheblich familiärer, wir hingen fast die ganze Zeit zusammen, in den Neunzigern sahen wir uns weniger, telefonierten aber von Zeit zu Zeit. Eine andere nette Sache, die man über ihn sagen könnte ist sein Humor, als wir uns 2004 zum ersten Mal seit dem Johnny Thunders Benefiz Konzert 1991 trafen, hatte ich fast vergessen, wie verdammt lustig der Arsch sein kann, er kann Dich echt fertig machen!" Nun ist die Zeit leider endgültig um, wir verabschieden uns, bei der späteren Photosession erwische ich Syl, wie er sich in einer Ecke der Garderobe einparfümiert, stolz präsentiert er den Flacon – tatsächlich Dolce & Gabbana: "Hier, achte auf den Name, der gefällt mir besonders: ´Masculine´, das ist der Duft für alle, die sich ihres Geschlechtes nicht sicher sind!" Und nach einer weiteren Ladung: "Steck´ Dir jetzt bloß keine an, sonst explodieren wir!" Dann macht meine Freundin die Photos und die Band verschwindet auf die Bühne. Zurück bleibt eine Duftwolke und die Erkenntnis, dass man in Interviews durchaus auch andere Impulse bekommen kann, als immer nur neue Platten, Bücher, Filme oder Kunstwerke. Am Morgen danach betrete ich jedenfalls zum ersten Mal seit Jahren eine Parfümerie, die Welt muss nämlich tatsächlich wissen, wer die New York Dolls sind. Notfalls mit allen Mitteln!


Autor: Oliver Mahr, Photos: Oliver Mahr & promo hfr., translation: Klaudia Weber
Eingetragen am: 2006-12-07

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