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Lumous Gothic Festival 2006

2006-08-18
Stadt / City Tampere 
Land / Country Finland 
Web www.lumous.net
 
Veranstaltungsort:
Location
various 
Datum / Date29 Jun - 2 Jul 2006  
Bildergalerie / Picturegalerie Lumous_2006 
Photos: Julia Sheremet`yeva 

Während das berühmte TUSKA die Metaller und Urlauber anzieht, begeben sich die Bewohner des Untergrunds an jenem Wochenende lieber nach Tampere. LUMOUS ist das nördlichste Gothicfestival in Europa und das einzige in Finnland (derzeit). Viele ausländische Anhänger dieser Subkultur erwarten fälschlicherweise in Finnland eine sehr aktive Gothicszene, wenn man den hohen Prozentsatz an einschlägigen Bands bedenkt, die dieses Land in den vergangenen Jahren so hervorbrachte. Jedoch ist die finnische Goth-Szene in Wahrheit sehr klein, und der Löwenanteil überlebt in Tampere, vergesst Helsinki. Und sogar dort, wenn du aus Deutschland oder einer anderen Nation mit einer hochentwickelten Gothic-Kultur stammst, hat dieses LUMOUS in Tampere nichts mit anderen Gothicfestivals gemein.



Im Unterschied zu anderen finnischen Sommerfestivals ist LUMOUS kein Open Air, und es findet nur nach Einbruch der Dunkelheit kurz vor Sonnenaufgang statt – echt vampirisch.

Dieses Festival besteht aus einer Reihe von Konzerten in verschiedenen dunklen Bars und Clubs im finnischen Goth-Zentrum, und die Grösse der Clubs rangiert von klein bis sehr klein, also lasst eure grossen Erwartungen zu Hause, und da meine ich nicht nur die Venues, sondern das gesamte Event. Im Vergleich zu Deutschland war ich ehrlich erstaunt, wie „eng“ dieses Festival ist, sowohl bei Musikspektrum als auch hinsichtlich der Besucher: Jede Menge Post-Punks und Cyber-Goths undefinierbaren Geschlechts, unendlich kreativ und weltoffen! Viele Männer in langen Kitteln (geil!) und Mädels mit rasierten Köpfen (verwirrend!) trugen zur bunten Menge bei. Leider, jedenfalls was meinen Geschmack betrifft, waren nur wenige klassische Goths und absolut null Metaller vertreten (wohl wegen TUSKA), also hat dieses Festival offensichtlich ein festes Zielpublikum.



Eines der Events nennt sich „die dunkle Seereise“ – eine Bootsfahrt auf dem Tampere Fluss, wo sich 120 Goths und andere Subkultur-Vetreter auf einem Kahn drängeln. Die Reise in der warmen finnischen Dämmerung dauert einige Stunden von 19 bis 23 Uhr, wenn die ersten Konzerte beginnen. Anzumerken sei, dass sich die Tickets dafür wie die warmen Semmeln verkaufen – es gibt nur dieses eine Boot. Während der Fahrt unterhalten uns eine Live-Band und andere Entertainer. Wenn du LUMOUS erleben willst, musst du rechtzeitig daran denken, dir die Tickets um 15 Euro pro Person zu sichern! Abgesehen von der Bootsfahrt finden andere Events vor den Konzerten im Rahmen des LUMOUSfestivals statt, wie etwa „dunkle Literatur und Musik“ in örtlichen Buchhandlungen mit Gothic Djs etc.

DONNERSTAG



Bar/Club Vastavirta war Zentrum des Eröffnungstages. Alleine hätte ich es nie gefunden (wahrlich underground!), aber ich musste nur dem Strom der Goths folgen, die zu diesem tollen einsamen Platz nahe dem See strömte, wo von anderen Gebäuden nichts zu sehen war. Die Einrichtung der Bar ist mindestens so auffällig wie das Outfit der Besucher, passte also wie die Faust aufs Auge.

ULTRANOIR (FIN)


Definitiv die neue finnische Dark Underground Hoffnung: Vom ersten Gitarrenriff, vom ersten Blick des Sängers ins Publikum bis zu jeder einzelnen Körperbewegung stimmte jedes Detail bei dieser Band, die vor Selbstbewusstsein strotzte – tolle Arbeit! Diese jungen Cure-Anhänger überraschten mich, denn selten sind Opener gleichzeitig so ausdrucksstark und beeindruckend, seltsam und schön, wie vier Brian Molko-Wachsfiguren, die zum Leben erwachten, so zerbrechlich, surreal und unheimlich charismatisch. Die Darbietung des Sängers grenzte an extrem Emo bis absolute Schizophrenie, während des gesamten Sets ebenso leidenschaftlich wie beim Einstieg. Im Unterschied zum beweglichen Sänger, glich der Rest der Band mechanischen Puppen, so leb- und emotionslos. Die Bar war voll, ebenso die Tanzfläche, ein grosser Erfolg für die tanzenden Marionetten...

LIBITINA (UK)


Hochqualitative Britische Darkwave-Ware, klare Beats und strikte Folge stilistischer Traditionen, nicht mehr und nicht weniger, also dieselbe Leier und etwas anstrengend nach den ersten paar Songs, allerdings nicht für die begeisterten Fans vor der Bühne. Libitina ist wohl eher was für Clubparties und nicht so für Konzerte geeignet, da wirst du nicht von der Band abgelenkt und kannst dich voll auf die Musik konzentrieren. Leider ist es in Finnland nicht üblich, bei Konzerten zu tanzen, aber hier bewegte sich etwa die Hälfte der Menge auf der Tanzfläche, und die Band hatte offensichtlich viel Spass.

FREITAG

Langsam scheint die Szene erwacht zu sein, wesentlich mehr Teilnehmer am zweiten Tag und Lokalwechsel zum mehr zentral gelegenen Club Tulikamarin, gestylt wie ein altmodisches Theater mit schöner Terrasse. Andere Lokalität – mehr Abwechslung im Styling des Publikums, mehr Gothic Lolitas und mehr Cyberkreaturen. Zwischendrin unterhalten DJs mit Klassikern, von The Mission bis zum unerwarteten „Voyage, voyage“ – gute Goths können zu allem tanzen!

NEVERNETTLES (FIN)


Stellt euch vor, das Puppenhaus des kleinen Mädchens aus der Nachbarschaft wäre zum Leben erwacht und hätte sich zu einer Band formiert... Genauso sind sie, die hübsche Sängerin in Dienstmädchen-Petticoat-Outfit mit langen rosa Haaren, Blumen und einem Porzellanpuppen-Gesicht, tanzend und singend wie nur zu sich selbst, was die Performance umso ansprechender macht. Die Musik geht ins Ohr und in die Beine, du tanzt zu Melodien, die du noch nie gehört hast und die du dir sicher nicht merken wirst. Die Opener setzten den richtigen Ton, ehe die Uhr Mitternacht schlug, die Magie zerstörte und sie wieder in Puppen verwandelte...

ZOMBINA & THE SKELETONS (UK)


Wieder eine Puppenshow, aber im „Horror-Punk“ Stil (wie es die Briten nennen), aber so surreal – mannshohe gespenstische Cartoon-Kreaturen a la Tim Burton! Ich hätte ja nie Zombies in so einer Band vermutet, und wenn ich das nur im Radio hörte, hätte ich es nie der Gothic-Kultur zugeordnet! Der Sound ähnelt den amerikanischen 50ern, „Grease“ war meine erste Assoziation, Boogie Woogie wie in Pulp Fiction, dazu über-Hyperpunk – eine explosive Mischung! Genauso sah es auch das Publikum und forderte nach Ende des Sets lautstark eine Zugabe, die von der lebhaften Zombina und ihren fröhlichen Skeletons auch gerne gegeben wurde. Grotesk!

DOPPELGÄNGER (RUS)


In diesen drei Tagen mit Post-Punk und synthetischen Sounds war diese Band wohl die düsterste, härteste und am ehesten Gothic, jedenfalls für meine Auffassung des Genres (kann sein, dass ich in diesem Land schon eine Überdosis Metal abgekriegt hab). Sowas wie The 69 Eyes anno 2000... Die russische Szene wird ja gerne übersehen, verständlich, denn die dunkle Szene hat dort noch einen weiten Weg vor sich und befindet sich gerade erst im Werden, jedoch haben einige Bands bereits konkrete Formen angenommen. Doppelganger klingt auf CD anders als live, aber wenn man den kürzlichen Wechsel am Mikro bedenkt und dass LUMOUS ihr erstes Konzert ausserhalb der Heimat war, verdienen sie ein Lob für dieses Goth-Rock Feeling – echt nicht schlecht und ich bin sicher, dass sie bald wieder in Finnland auftreten.

SAMSTAG

Endlich brach die schwarze Blume auf und trug Blüten! Viel mehr Teilnehmer, viel mehr Attraktionen (Merchandisestände, Klamotten+Accesoires+Schmuck etc) und so viel mehr Kreativität in der Luft! Die Djs bewiesen seltsamen Humor, als sie Hardcore Old School Gothic mit 80er Retro-Songs (Rasputin, Sweet Dreams, sogar Elvis!) mischten. Und je später der Abend, umso seltsamer das Benehmen des Publikums: weibliche Pin-Up-Goths imitieren Marilyn Monroe, Betty Page und andere Idole, feminine junge Männer mit purpurnen Schmetterlingsflügeln, enorme Punk-Frisuren mit Kreissägen-Profil, deutsche Soldaten aus den 40ern mit Swastikas und Militärhaarschnitt, alles so realistisch und ausgefeilt – furchteinflössend! Aber wenn dann eine beschwipste Marilyn mit einem noch beschwipsteren Deutschen Soldaten Twist tanzt, verschwindet die Furcht und macht Platz für ein gewisses Zusammenzugehörigkeitsgefühl... „Weltoffenheit“ kennzeichnet die letzte LUMOUS-Nacht.

RAISON D´ETRE (SWE)

Ein schwedisches Industrial/Noise-Projekt - diese One-Man-Show eröffnet den Abend. Eine sehr ungewöhnliche Darbietung... am Tisch einige fein gearbeitete Metallobjekte, ein Laptop und eine Projektionsfläche im Hintergrund. Der Künstler berührt die Objekte und erzeugt eine Vibration, die per Laptop abgemischt wird und spezifische Sounds erzeugt, nicht wirklich Melodien, aber daher kommt die Bezeichnung „Noise“. Für ein besseres Bild gibt es Videosequenzen im Hintergrund: undefinierbar, etwas Rostig-Weisses in Zeitlupe nimmt dich gefangen, echt hypnotisch... Eine beachtliche Show, sobald du das schnelle geschickte Handwerk des Künstlers und seine Konzentration auf den Sound ins Auge gefasst hast. Wie ein Illusionist, bloss nicht visuell, sondern akustisch, werden dir Tricks vorgegaukelt. Abartig. Das Publikum verharrt bewegungslos, still und total gebannt vom Geschehen – faszinierend, aber auch etwas gespenstisch anzusehen und anzuhören. Weiss nicht, ob ich mir das zu Hause antun würde, aber auf der Bühne ein sehr beeindruckender Act.

SURUAIKA (FIN)


Nach der Anzahl der getragenen Merchandise-Artikel im Publikum während dieser drei Tage war diese Band der Hit des gesamten Festivals: stellt euch im Vergleich vor, wie viele TUSKA-Teilnehmer Iron Maiden-Shirts anhaben... also erwartete ich natürlich sehr viel von diesen Festivalfavoriten. Nur vom Suruaika-Fledermauslogo her hätte ich etwas dunkleren Sound erwartet, aber nein, das hier klingt nach Energizer-Häschen mit kaputtem Schalter, dazu Rob Smith-Look – der schweissgebadete Sänger rannte und sprang während des gesamten Sets incl. Zugabe wie ein Flummi rum!!! Respekt, aber kaum mitanzusehen – in den Strobos wirkte seine Hyperaktivität schwindelauslösend.

INERTIA (UK)


Der Schlussact kam mit soviel Selbstvertrauen und Überzeugung auf die Bühne, als ob sie die ganze Zeit in Finnland auf Tour wären und es völlig selbstverständlich sei, so lang erwartet und begehrt zu sein. Das war die einzige Band, bei der ich nicht ganz vorne sein wollte – die hinteren Reihen drängelten und es ging die Post ab, es wurde nahezu unmöglich, an die Bar oder Richtung Ausgang zu kommen. Industrial Beats und klare Elektronik-Arrangements sind tolle unmöglich-sich-nicht-zu-bewegen Tracks, die Bühnenshow inspirierend, die Musiker selbstsicher genug, um das Ganze entspannt wirken zu lassen, der weibliche Drummer (sieht aus wie ein Aerobic-Cyber-Trainer aus einem SF-Film) heizt die Menge an, nicht nur mit Ansagen an „all die schönen Leute da draussen“ gerichtet, sondern auch mit energischer Dezimierung ihres Outfits, bis runter zum futuristisch funkelnden Silberbikini!

FAZIT: Nach den langen drei LUMOUStagen wurde mir vor Augen geführt, wie unterschiedlich die Gothic-Subkultur in Finnland, England oder Deutschland aufgefasst wird. LUMOUS hat ein eher beschränktes Musikprogramm, bietet andererseits Bands, von denen du vorher noch nie was gehört hast, ist also echt Underground. Angenehm die allgemeine Atmosphäre: Im Unterschied zum finnischen „Metal“ Chaos behält LUMOUS gewisse Gothic-Eleganz, es gibt wenig hoffnungslos Betrunkene und Verlorene. Durch die nette Aufnahme der Teilnehmer wurde uns klar, dass LUMOUSbesucher mit religiösem Eifer jedes Jahr nach Tampere kommen um neue Bands und alte Freunde zu treffen, was zu trinken und es zu geniessen, unter Gleichgesinnten zu sein. Wo sich all diese Leute bei Tag verstecken konnte ich nicht herausfinden, aber beim LUMOUS waren sie alle da, mit unterschiedlichen Outfits für jeden Festivaltag... Dieses Festival ist nicht für jeden geeignet, auch nicht wenn du den finnischen Goth kennst, aber LUMOUS ist die Reise wert, hat was echt Finnisches und bietet ungewöhnliche Lokalitäten. Am besten ist der dritte Tag, wenn es am lebhaftesten (ein ungewöhnliches Adjektiv für ein Gothicfestival, trifft die Atmosphäre aber am besten) zugeht, ganz anders als am stilistisch eher eingeschränkten ersten Tag.

Marina Sidyakina, translation: Klaudia Weber


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