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Voices of Masada: Wissen, wo all die schönen Frauen sind!

Was wäre unsere Gesellschaft ohne Schubladendenken? Und es ist nicht allzu schwer, zu erraten, welcher Stereotyp mehr oder weniger für alles Böse dieser Welt verantwortlich gemacht wird. Hier nun ein kleiner Versuch, ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen (oh, welch ungeeignete Wortwahl!) und zu erklären, wie Goth wirklich ist. Der Sänger der britischen Gothrock Band Voices of Masada, Raymon Shah, enthüllt etwas von der Szene, indem er seine recht persönliche Meinung zur Subkultur kundtut.

Voices of Masada sind ein britisches Gothrock Trio im Stile der Sisters Of Mercy, gemixt mit Fields Of The Nephilim, umschlungen von engem PVC und Nadelstreifenanzügen, sehr elegant anzuschauen und tanzbar, um sich dazu zu bewegen. Die Band ist nach dem Ort benannt, an dem im ersten Jahrhundert ein Massenselbstmord stattfand, was auch zu einem gewissen Mystizismus beiträgt. Diesen Sommer bekommen finnische Goths die Möglichkeit, die Band beim Lumos Gothic Festival in Tampere live zu erleben. Bis dahin machen wir uns mit Ray und dem ganzen Gothictum vertraut.




Wie würdest du deinen Charakter/deine Persönlichkeit beschreiben?
Aufgeschlossen, extrovertiert, laut, aggressiv…Ich bin ja auch Frontmann.

Hast du eher eine optimistische oder pessimistische Lebenseinstellung?
Ich bin Realist. Meistens klappen Dinge nicht so, wie man es sich vorgestellt hat. Man muss das akzeptieren, aber auch immer auf etwas Besseres hin arbeiten. So kommt dann immer irgendetwas Gutes dabei heraus, was man dann genießen kann und weiß, dass es geklappt hat, weil man es versucht hat.

Gibt es Vampire?
Bei mir nicht. Sie sind ein Mythos, geschaffen um das Unerklärliche zu erklären – wie Gott oder den Teufel oder gerechtfertigte Steuern.

Wie siehst du den Tod?
Er passiert. Lebe dein Leben und wenn du stirbst, hinterlasse einen hübschen Grabstein. Oder lass dir nen Apfelbaum auf deinen toten Körper pflanzen und erfreue dich, solange du noch am Leben bist, an der morbiden Faszination, dass Leute dich essen, wenn du tot bist...

Was machst du in deiner Freizeit, was hast du für Hobbys oder was würdest du gern machen, wenn du mehr Zeit hättest?
Freizeit?! Was ist das???? Außerhalb meiner Arbeitszeit, singe ich in meiner Band, reise herum, nehme an Wettbewerben im Bogenschießen teil, spiele Rollenspiele, organisiere Gigs, versuche auch ein wenig Zeit mit meiner Verlobten zu verbringen...gelegentlich schlafe ich auch mal.

Was hast du für eine Bildung?
Ich hab einen Uni-Abschluss in Umweltwissenschaften und einen Abschluss in Bauingenieurwesen.

Was ist deine Lebensphilosophie?
Shit happens. Gewöhn dich dran oder hau ab. Wenn du mir nicht zuhören willst, warum, zur Hölle, soll ich dir dann zuhören?

Ein paar Kommentare zu deiner spirituellen, philosophischen und religiösen Zugehörigkeit?
Gott ist ein Diskotänzer aus den 70ern. Ein bisschen wie John Travolta in Saturday Night Fever. Wenn du stirbst, und sterben müssen wir alle, dann kommst du in die Große Disko im Himmel und je nachdem, wie oft du ohne ersichtlichen Grund großzügig warst (z. B. zählt nicht eine gerechtfertigte gegenseitige Unterstützung nach dem Motto „wir helfen einander“) und über dich hinaus gewachsen bist, um anderen zu helfen, obwohl du dir darüber im Klaren warst, dass die ganze Sache von keinem Vorteil für dich ist, bestimmt dann, ein wie guter Tänzer du in der ewigen Disko bist. Wenn du nicht so warst, dann musst du auf ewig all die schönen Leute beim Tanzen beobachten, während du dich ewiglich wie ein Outsider fühlst. Crowley, z. B., war ein bisschen bekloppt, aber wenn man mal über sein berühmtestes Zitat nachdenkt „Tue was du willst sei das ganze Gesetz“ – wirklich nachdenkt, dann geht´s nur darum, dass zu machen, was DU willst – nicht die Gesellschaft oder der Partner oder die Welt im Allgemeinen – es geht um DICH und darüber, zu verstehen, was DU wirklich willst. Sich selbst zu kennen, ist der Schlüssel dazu, mehr als nur ein cleveres Tier zu sein. Ein wirklicher Mensch zu sein, ist sich selbst zu kennen und zu wissen, was man selbst wirklich will. Klar, gibt´s unzählige Penner, die Crowley als Ausrede benutzen, Wichser zu sein, aber das gibt´s auch bei Jesus und Buddha und Mohammed – sie hatten alle richtig coole Ideen, die nichts damit zu tun hatten, Leute zu killen oder Leben zu zerstören, aber das hält einige Leute auf dieser Welt auch nicht ab, sie als Ausrede zu benutzen, Arschlöcher zu sein.



Wie bist du überhaupt zur Gothic-Szene gekommen und was hat dein Interesse aufrecht erhalten?
Ganz unverschämt, weil die Frauen so schön waren. Ich mag auch die Musik, aber ich war ein Teenager. Ich konnte nichts dafür.

Wie sehr hast du dich dem Goth-Lifestyle verschrieben?
Ich hab es nie als Lifestyle gesehen. Ich bin nun mal so. Ich mache Sachen nicht, weil sie „Goth“ sind, ich mache sie, weil ich es will. Wenn das dann eben „Goth“ ist, dann gut (und das passiert schon recht häufig), aber es ist nie eine bewusste Entscheidung.

Und was trägst du selbst zur Szene vor Ort bei?
Ich singe in einer Band, ich bin DJ in ein paar Klubs, ich bin Promoter – das heißt, ich hole Bands von überall her und nötige Leute, sich die Bands anzuschauen. Außerdem sehe ich auch noch sehr gut in PVC Hosen aus. Das hilft der Szene doch sehr, nämlich festzustellen, dass glänzende schwarze Beine einen Schritt nach vorn im Leben bedeuten.

Hast du bestimmte Tendenzen in deinem Kleidungsstil, wie siehst du dich selbst? Welche Unterschiede in deinem Äußeren kannst du bei dir selbst feststellen?
Enge Hosen, ärmellose T-Shirts, Schmuck, hin und wieder Make-Up, vielleicht auch mal einen Rock. Das ist das Grunderscheinungsbild. Ich sehe mich selbst als...hmmm. Schwere Frage. Ich sehe mich nicht wirklich in einem visuellen Sinne, obwohl ich mir bewusst bin, dass ich durchaus attraktiv bin. Es ist nur etwas, dass ich bin. Es definiert mich nicht, weil ich mir nicht aussuchen konnte, wie ich aussehe. Da mache ich meine Eltern für verantwortlich. Ich bin groß, verhältnismäßig schlank, habe recht breite Schultern, lange, natürlich schwarze Haare und ich bin einer der wenigen asiatischen Goths, denen du begegnen wirst.

Wie wichtig ist, deiner Meinung nach, das Erscheinungsbild im Allgemeinen. Ich meine, wir wissen ja alle, dass nur der Charakter am Ende zählt, aber Aussehen spielt auch eine große Rolle, nur wie groß?
Für mich ist Aussehen sehr wichtig, aber nicht so sehr Attraktivität oder Hässlichkeit. Wie wir unsere Leben leben, formt unsere Körper auf eine gewisse Weise – die dünnen Lippen von jemandem, der seine Lippen zu sehr schürzt, die Lachfalten von jemandem, der sehr oft lacht. So was macht einen großen Unterschied und ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass eine attraktive Frau hübsch anzusehen ist, aber man versucht, ein vernünftiger Mensch zu sein und auch darüber hinaus zu schauen. Wenn man ein Goth ist, dann geht´s sehr darum, sich herauszuputzen und das Aussehen zu verändern, etwas, wobei nur Frauen und wir Spaß haben.

Wie vereinbarst du dein tägliches Leben mit deinem persönlichen Lifestyle? Ich meine, Kleidung und Aussehen im Allgemeinen oder gibt´s da keine Konflikte?
Es ist ganz einfach. Ich trage schicke, lockere Kleidung auf Arbeit, die zufällig eben dunkel ist. Ich binde meine Haare zusammen, um professioneller zu wirken. Meine Stiefel oder Schuhe sind vielleicht etwas spitzer als normal, aber das war´s dann auch schon.



Zu deinem Geschmack, gibt´s genug Klubs und Veranstaltungen in deiner Stadt? Wovon könnte es mehr geben? Gehst du zu Festivals oder Veranstaltungen im Ausland?
Ich wohne in London, hier ist immer etwas los. Manchmal wünschte ich, dass nicht alles an einem Abend stattfindet, aber man kann nicht alles haben. Ich bin regelmäßig bei Festivals und Veranstaltungen im Ausland dabei – zum einen, weil ich gern auf Festivals gehe und zum anderen, weil meine Band auch regelmäßig überall in Europa spielt. Und in der Tat wird meine Band Ende Juni beim Lumos Festival in Tampere, Finnland spielen: Warum kommst du nicht vorbei und schreibst ne Rezension?

Auf welche Parties/Veranstaltungen gehst du? Was ist die nächste Veranstaltung, auf die du dich am meisten freust?
Demnächst fliegen ich und viele meiner Freunde zum WGT – dem größten Goth Festival der Welt.

Was leitet/beeinflusst/inspiriert deine Art, dich zu kleiden?
Meine Verlobte. Ich ziehe mich so an, dass ich ihr gefalle und sie zieht sich so an, dass sie mir gefällt.

Machst du deine Kleidung selbst?
Nee.

Woher kriegst du deine Klamotten?
Läden und Ebay. So wie jeder andere auch.

Wie sieht dein Zimmer/deine Wohnung aus? Dekorierst du gern selbst?
Ok, ich hab ein Himmelbett, aber abgesehen davon, nichts wirklich gothic-mäßiges, außer ein paar Poster von alten Gothbands. Ansonsten Bücher und Bücher und Bücher und CDs.

Wie oft kaufst du dir neue Outfits und wie oft änderst du deine Frisur/Haarfarbe?
Sehr selten und jedes Mal, wenn ich einkaufen muss, verfluche ich den Tag, der mich dazu veranlasst hat. Ich HASSE shoppen. Seinen Weg durch die Massen, die um den letzten Schrott kämpfen und zanken, bahnen. Und sie schleichen vor sich hin. So langsam. Da krieg ich nen Anfall. Meine Frisur und Haarfarbe ändert sich nicht wirklich. Meine Haare sind schwarz und lang und so mag ich es auch, obwohl ich eine natürliche weiße Strähne habe, die langsam immer größer wird. Das gefällt mir.

In persönlichen Beziehungen, denkst du, dass es wichtig ist, dass der Partner auch das gleiche Interesse an der Szene hat?
Ja, andererseits glaube ich nicht, dass ich mit jemandem zusammen sein wollte, der die ganze Zeit darüber nachdenkt „wie goth er ist“. Darüber denke ich überhaupt nicht nach und es würde mich nach einer Weile total irritieren. Man braucht aber Gemeinsamkeiten. Wenn es dein Partner ist, dann sollte es dafür einen Grund geben, außer, dass man sich attraktiv findet. Man muss ja das Leben und Erfahrungen miteinander teilen.



Welche Eigenschaften hasst du am meisten bei anderen Leuten? Und, was sollte zu den 7 Todsünden hinzugefügt werden?
Bewusste Ignoranz und Dummheit. Lügner und Diebe. Fette Menschen, die nicht aufhören können zu essen oder nur Ausreden oder Lügen dafür benutzen. Bigotterie und grundloser Hass. Das sind die Dinge, die mich wirklich zur Weißglut treiben.

Was findest du am anderen Geschlecht besonders attraktiv?
Ich bin ein Mann. Wo höre ich auf?!

Und dann zu unserem Lieblingsthema „Label und Stereotypen“, wie sehr interessiert dich das ganze Schubladendenken wirklich?
Label sind von Bedeutung. Wir mögen sie vielleicht nicht oder stimmen jenen zu, die Leute verpasst kriegen, aber sie sind von Bedeutung und wir ALLE machen von ihnen Gebrauch. Auf diese Weise kann man mehrere Sachen voneinander unterscheiden, sei das Kriterium nun Haarfarbe oder Größe oder ob man links- oder rechtshändig ist oder welche Farbe deine Haut hat. Wir müssen das machen, um mit dem fürchterlichen Ausmaß der menschlichen Rasse klar zu kommen. Im Christentum ist es das Ziel, soweit ich mich erinnere, allen Kreaturen dieser Welt einen Namen zu geben. Der hier ist ein Goth. Er trägt wahrscheinlich viel schwarz, wird in der Schule schikaniert, ist überdurchschnittlich intelligent und es ist sehr unwahrscheinlich, dass er je eine Prügelei anfängt. Dieser hier ist ein Metaller. Er hat wahrscheinlich lange Haare (aber niemals schwarz), trägt Jeans und headbangt, wenn er ausgeht. Bier ist der Mittelpunkt seines Lebens, und Luftgitarre spielen. Dieser hier ist Politiker. Er ist wahrscheinlich sozial veranlagt und ein gesellschaftlicher Aufsteiger, er ist in der Lage sich selbst und andere von Dingen zu überzeugen, die offenkundig unwahr sind, lügt mit seltenem Geschick und ist mehr als gewillt, seine Skrupel und seinen Anstand für politische Zwecke abzulegen. Die Liste geht so weiter mit Leuten, die wir in unserem Kopf und in unseren Leben kategorisieren. Der Laute, der Ruhige, der Schwarze, der Asiat, der Große, der Kleine. Diejenige, die immer kurze Röcke trägt, derjenige, der immer Stiefel trägt usw.

Wenn du darüber gefragt wirst, wie es ist, ein Goth zu sein oder was die Idee hinter all dem ist, was antwortest du?
Goth. Eine modische Ausdrucksform, die sich um einen Musikstil herum entwickelt hat. Jetzt nur noch eine modische Ausdrucksform für die Mehrheit und eine Zielscheibe für andere.

Ist es auf irgendeine Weise einengend oder einschränkend, Goth genannt zu werden? Oder „duftet, was wir Rose nennen, unter jedem andern Namen, genauso süß“?
Schränkt es mich ein, farbig genannt zu werden? Nein. Aber es schränkt mich ein, wenn Leute davon ausgehen, dass, nur weil ich eine dunklere Hautfarbe habe, ich auch ein Dieb, ein Lügner bin, nicht in der Lage bin, englisch zu sprechen und bereit bin, Leute in die Luft zu sprengen und das nur weil ich eine andere Meinung habe. Es geht nicht so sehr um den Stempel, den man aufgedrückt kriegt. Es geht darum, was dahinter steckt und das engt ein und schränkt ein, sowohl einen selbst als auch die Person, die dir den Stempel verpasst hat.



Goths sind dafür bekannt, ein paar schlechte Angewohnheiten zu haben, wie gesund ist denn dein Lebensstil?
Eine Serie von Widersprüchen. Ich schwimme 5 Tage die Woche, mache Bogenschießen und ich gehe gern tanzen. Andererseits rauche und trinke ich auch.

Was sind deine musikalischen Vorlieben und worauf achtest du besonders, wenn du dir eine neue Band anhörst, was beeindruckt dich?
Ich bevorzuge Gothic Rockmusik, aber ich mag auch EBM, Industrial und klassische Musik. Was mich am meisten beeindruckt, ist eine gute Stimme. Da ich ja auch Sänger bin, denke ich, dass es sehr wichtig ist, einen guten Vokalisten zu haben und mich ärgern Bands total, die das komplett ignorieren. Wenn ein Sänger außerhalb seiner Stimmlage ist, kann das SEHR nerven.

Welche Filme magst du, Bücher?
Filme und Bücher – Ich bevorzuge Sci-Fi und Fantasy. Gib mir lieber Illusionen als eine Nachbildung des realen Lebens. Ich LEBE mein Leben. Ich möchte nicht wirklich sehen, wie es hätte sein können. Außer es gibt Waffen, Schwerter und irre Sachen passieren, ansonsten fange ich an, mich zu langweilen.

Und jetzt, da du grad von diesem fantastischen Interview so inspiriert und einfach hin und weg bist, gibt´s irgendwas anderes, dass du noch erwähnen oder mit uns teilen möchtest?
Lebe schnell, stirb jung und hinterlasse eine schöne Leiche...



Autor: Marina Sidyakina, transl. Kathleen Gransalke, photos: Voices of Masada
Eingetragen am: 2008-06-09

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