STALKER - Printversion
Hanging Garden: Fantastische Musik, furchtbare Orte

Es gibt ja nur ein paar wenige Clubs, die “Backstage” noch absolut wortwörtlich bieten können, wie etwa PRKL in Helsinki – der Raum befindet sich genau hinter der Bühne, und bei 3 Leuten herrscht schon gewisse Platznot … Dass “Abhängen mit Hanging Garden” diesmal nicht so recht klappte, lag ausserdem am Soundcheck, den Sänger Toni Toivonen und Basser Jussi Kirves noch absolvieren mussten für ihren Gig an diesem Abend (wir berichteten hier ). Wir schafften es aber, über das neue Album sowie den einzigen echten “Metaller” in der Band zu plaudern und zu eruieren, warum Mikkeli doch nicht so ein Spitzen-Reiseziel ist (naja, ich sollte wohl aufhören, Witze über Mikkeli zu reissen, sonst krieg ich noch lebenslängliches Einreiseverbot für diese Stadt... )

Die erste Frage liegt ja auf der Hand, die jüngsten Besetzungswechsel. Wie kam das, wie habt ihr euch kennengelernt, wie kam es zu diesen Veränderungen?
Toni: Die Leute, die die Band verliessen, hatten einfach keine Motivation mehr weiterzumachen, und die neuen Leute wurden über gemeinsame Freunde und durch Zufall gefunden – ich spiele beispielsweise mit Nino (Hynninen), dem Keyboarder, in einer anderen Band namens Clockwork Spirit, und Nino hat mich in diese Band gelotst, nachdem Ari (Nieminen) den Sängerposten abgab. Nino spielt auch mit Jussi (Kirves) in einer andren Band namens Inland – so fanden sie dich (deutet auf seinen Bandkollegen).
Jussi: Yeah.

Ist das nun die Hauptband für euch beide, oder macht ihr weiterhin auch noch andre Projekte?
Toni: Naja, für mich ist es die Hauptband.
Jussi: Und für mich eigentlich auch. Alle andren Bands sind mehr oder weniger aufgelöst, oder wir waren damit nie so aktiv.
Toni: Ich habe noch 2 weitere Bands, die aber derzeit auf Eis liegen.

Wie kam es zum Wechsel der Plattenfirma, war da einfach der Vertrag ausgelaufen, oder...
Toni: Yeah, der Vertrag lief ab, und von beiden Seiten gab es kein Interesse, ihn zu verlängern. Jussi Hämäläinen meinte, dass alle jene, die er bei Spinefarm gekannt hat, nun nicht mehr oder nicht mehr in denselben Positionen arbeiteten, also war da kein Ansprechpartner mehr übrig. Daher stiegen wir aus und Lifeforce Records hat uns, ich glaube umgehend, unter ihre Fittiche genommen. .

In meiner Review habe ich erwähnt, dass ich den Eindruck hatte, das neue Album ”At Every Door” sei wesentlich härter ausgefallen – war dieser Eindruck falsch, oder habt ihr da echt was verändert?
Toni: Ich glaube, dass die Atmosphäre heavier geworden ist, nicht so sehr der Sound. Wir haben sogar noch mehr ruhigere Teile, verglichen mit den letzten 2 Alben, und viel mehr akustische atmosphärische Teile. Aber es sind wohl die Kontraste, die das Album viel heavier erscheinen lassen.
Jussi: Es gibt sicher mehr Vielfalt, in jedem Aspekt, als auf den vorherigen Alben, glaube ich.

Ich muss zugeben, mir gefällt dieser neue Stil ... (Gelächter)
Jussi: Danke

... und vielleicht könnt ihr ja die Bandmitglieder ein bisschen vorstellen, also – wenn ihr eine Familie wärt, wer erfüllt den welche Rolle?
Toni: Jussi Hämäläinen, der grosse Glatzkopf, ist unsere Vaterfigur
Jussi: (lacht) Yeah, der Pate (Gelächter)
Toni: Yeah, er sagt uns, was wir tun sollen, und wir gehorchen (Gelächter)
Jussi: Yeah, vor 5 Minuten meinte er “du, und du – ihr macht das Interview, ich muss meine Gitarre suchen” (Gelächter)
Toni: Künstlerisch will er niemanden bevormunden, jeder kann seine Ideen zu Songs einbringen oder Songs schreiben. Also gibt es da keinen Diktator, wir sind eine sehr demokratische Familie (Gelächter). Und wenn es zu praktischen Sachen kommt wie Interviews und Gigs, da ist Jussi (Hämäläinen) der Boss.
Jussi: Yeah
Toni: Ich habe Jussi (Hämäläinen) hier bei vielem geholfen, also Interviews und nicht-musikalische Angelegenheiten. Wir kommunizieren hauptsächlich via E-mail und teilen die Arbeit auf, wie etwa T-Shirts und andere Merchandise-Sachen bestellen, und Nino bucht viele Gigs für uns und auch grössere Events, wie dieses Mini-Festival vor ein paar Jahren in der Kultur Arena Gloria – er hat das ganze organisiert. Der Rest der Jungs konzentiert sich lieber auf die Musik...
Jussi: YEAH!

Tja, ich weiss ja dass man in Finnland – wie auch überall anderswo – kaum als hauptberuflicher Musiker leben kann – was sind denn so eure Hauptberufe?
Toni: Ich arbeite in einem Jugendzentrum …
Jussi: … und ich bin Investmentbanker
Jussi: Jussi Hämäläinen ist Lehrer, glaube ich
Toni: ... in ”yle-aste” - der Realschule, und Nino studiert Metallurgie – also, technische Ausrüstung und so …
Jussi: ... alles was man per Hand anfertigen kann, was mit Metallen zu tun hat

Also ist er im Grunde der einzige in der Band, der hauptberuflich mit Metall zu tun hat (Gelächter)
Jussi: YEAH stimmt (lacht)
Toni: Antti (Ruokola), der Drummer, ist Buchhalter, und Mikko (Kolari) ist...
(da die angesprochene Person ohnehin grad draussen rumschwirrt, ruft Toni auf Finnisch “was arbeitet Mikko eigentlich?” und erhält Antwort von Mikko, der etwas auf Finnisch zurückruft)
Toni: ... (übersetzt) ”Turnusarbeiter” …

...ähhhhh WAS???????? (Gelächter)
Jussi: Wir haben keine Ahnung, was er meint
Toni: Vielleicht macht er Witze
Jussi: Gottlob wissen wir wenigstens, wer Mikko IST, aber was er macht...
Toni: Er ist der lustige Kerl aus Mikkeli
Jussi: ... und eigentlich das letzte Gründungsmitglied in der Band
Toni: Ja, er ist das einzige Gründungsmitglied, alle anderen stiessen später zur Band. Und ab dem TEOTWAWKI Album sind´s nur Mikko und Jussi (Hämäläinen), Nino kam dazu, als das Album bereits erschienen war
Jussi: … also sind auf dem neuen Album At Every Door vier neue Bandmitglieder vertreten.

Wie sind denn die Reaktionen auf das Album bisher so ausgefallen?
Toni: Wir waren nicht so involviert bei den beiden Vorgängeralben, aber Mikko meinte, dass dieses am meisten positives Feedback von allen bekommen hat, das grösste Lob – eventuell?
Jussi: Vielleicht? (lacht) Ich bin ja erst seit 18 Monaten dabei, also keine Ahnung (Gelächter)

Was STALKER betrifft, hat dieses Album die besten Noten bekommen... und ich hoffe wirklich, dass ihr damit weiterkommt. Hmmm, versucht ihr eigentlich noch immer, hauptberuflich Musiker zu sein, falls das möglich wäre... ?
Toni: Nunja, das ist vielleicht ein bisschen unrealistisch...
(alle lachen wie auf Kommando herzhaft auf)
Toni: ... so wie das Musikbusiness derzeit aussieht – naja, aber man weiss ja nie.
Jussi: Zumindest ist das das beste Haupt-Hobby, das du nur haben kannst

Da Mikkeli bereits erwähnt wurde – ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube es war im Interview mit Bloodred Hourglass, wo ich um Sightseeing-Tipps für Metaltouristen in Mikkeli bat – und sie meinten nur, der beste Tipp wäre, woanders hin zu fahren. Was würdet ihr denn so in Mikkeli empfehlen?
Toni: Wir kennen uns in Mikkeli auch nicht so aus, nur Mikko kommt aus Mikkeli – wir anderen sind alle aus der Hauptstadt-Region

OH Sorry, ich dachte, ihr seid alle aus Mikkeli – also vergesst die Frage (Gelächter)
Jussi: Eigentlich lustig, denn ich glaube, alle Originalmitglieder sind aus Mikkeli...
Toni: JA!
Jussi: … und jetzt, wo Mikko der letzte aus der Originalbesetzung ist, ist er auch im Moment der einzige aus Mikkeli, alle anderen stammen aus der Hauptstadt. Aber vielleicht sollte man in Mikkeli Mikkos Haus besichtigen, er ist ja auch sehr freundlich (Gelächter)

Naja, ich weiss nicht, ob er wirklich 20 japanische Touristen willkommen hiesse... (Gelächter) Also wäre das der einzige Sightseeing-Tipp von euch, was Mikkeli betrifft?
Jussi: (lacht) YEAH!
Toni: (sehr ernsthaft) Mikko aus Mikkeli
Jussi: Der globale männliche Finne (Gelächter)

OK wir sprachen ja schon über den Songwriting-Prozess, aber die Texte – wer schreibt die, nur eine Person?
Toni: Eigentlich hauptsächlich von mir. Der Titeltrack wurde von Jussi Hämäläinen verfasst, aber das sind ja nur 2 Zeilen, also war das ja nicht so viel.

Also worum geht es in den Texten, was inspiriert dich?
Toni: Es geht in etwa um eine post-apokalyptische Vision einer Zukunft, wo so einiges daneben ging, Geschichten über atomare Wüsten und so. Mich beeinflusst viel aus der Literatur, aus der Geschichte; ich bin viel auf Reisen gewesen und habe da einiges an düsteren Orten gesehen.
Zum Beispiel?
Toni: Zum Beispiel in Osteuropa – aufgelassene Orte...
Jussi: MIKKELI! (Ausbruch von Heiterkeit, Toni erholt sich etwas schneller)
Toni: ... und Nazi-Deutschland, Hiroshima – derartige Orte, solche Plätze geben dir wirklich eine Menge Inspiration. Es lässt dich nicht kalt, wenn du das siehst mit dem Wissen, was da alles passiert ist

Aber das heisst jetzt nicht, dass du gezielt da hinfährst, also Horror-Stätten als Urlaubsziele... (Gelächter)
Toni: Nein, aber wenn ich wohin komme und herausfinde, dass da wo was Schlimmes passiert ist, dann muss ich es mir einfach ansehen.

Da ihr alle schon lange im Musikgeschäft seid, kennt ihr ja all diese Höhen und Tiefen – könnt ihr uns vielleicht was erzählen, ein ungewöhnliches Tief, wie etwa ein total verkackter Gig, oder ein extrem toller?
Jussi: Tja, ich erinnere mich da an eine grauenhafte Show, so vor 5-6 Jahren, wo ich für einen der Gitarristen einsprang. Der andere Gitarrist hat sich den gesamten Gig über beschwert, dass er sich nicht hören kann, dass wohl was mit dem Verstärker nicht stimmt, und der Sound auf der Bühne war auch grauenhaft. Nach dem Gig – da war der Gute schon im Koma – bemerkten wir, dass er seinen Verstärker nicht mal eingeschaltet hatte (Gelächter). Er hat das gesamte Konzert mit abgedrehtem Verstärker gespielt – das war auch das erste und letzte Mal, dass ich da für diese Band an der Gitarre eingesprungen bin.
Toni: Ich hätte da auch so einige Stories, aber ich will ja niemanden beleidigen, also kann ich nichts erzählen (Gelächter). Aber einer meiner tollsten Gigs war der zweite mit dieser Band, und keiner kannte mich da noch als neuen Sänger. Wir sollten vom ersten Gig in Kuopio zum Club Lutakko in Jyväskylä. Als wir aufwachten, ein wenig verkatert, machten wir uns gleich auf zum Bandbus, starteten, fuhren 2 Meter – und mussten feststellen, dass sich das gesamte Motoröl verabschiedet hatte. Das war´s also – Nino und ich nahmen den Zug nach Jyväskylä, die anderen mieteten einen Van von Firma Hertz und karrten unser Zeug nach Jyväskylä. Und (lacht) klar waren wir alle angepisst und dachten, dass nun alle Hoffnung verloren ist – aber das wurde dann einer der besten Gigs und Trips zu einem Gig, die wir jemals hatten.

Wenn ihr euch zurückbesinnt – hat sich was an eurer Einstellung geändert, seid ihr mit dem Musikmachen angefangen habt? Warum habt ihr euch eigentlich entschlossen, Musiker zu werden?
Toni: Für mich ging es durch einige Spassprojekte an der Realschule los, die doch ernsthafter wurden. Aber ich mache das ganze noch immer deswegen, weil es mir Spass macht, das hat sich nicht geändert.
Jussi: Yeah, natürlich musst du das mögen, was du machst, und dass du aus diesem Grund auch Musik machst – hoffentlich.

Gab es da eine bestimmte Band, die euch so inspiriert hat, dass ihr unbedingt auch Gitarre spielen wolltet oder so?
Jussi: Hmm... da gibt es keine bestimmte Band, da ich mir eine grosse Bandbreite an Musik anhöre, von – klarerweise – Metal, 70er-80er Rock, Free Jazz, minimalistischen Berlin Techno – egal was, ich liebe das alles (Gelächter). Also bin ich Enthusiast, was die Musik selbst betrifft, daher mache ich auch immer weiter... und ich glaube, du kannst viel von unterschiedlichen Genres lernen, also nicht bloss ein Genre hören.
Toni: Für mich kam die erste Vision, dass ich auf einer Bühne stehen will, als ich 5 Jahre alt war und den Song ”Holy Diver” hörte (lacht – und steckt damit alle anderen an) Das war die Erleuchtung für mich (lacht)

Und du (zu Jussi) hattest nie so eine Erleuchtung?
Jussi: Nicht auf diese Art, es kam einfach jeden Tag immer mehr dazu; du verliebst dich einfach immer mehr in ein Instrument oder in die Musik im allgemeinen – so war es zumindest für mich.

Gibt es etwas in der finnischen Szene, das sich in den letzten Jahren stark verändert hat? Naja, ich habe festgestellt, dass einigeMetalclubs zugedreht haben, aber es gibt noch immer genau so viele gute, sehr talentierte Bands....
Toni: Ich glaube, dass sich die Anzahl von Bands noch vergrössert hat, da gibt es schon eine Überbevölkerung an Metalbands in Finnland, also ist es schwierig, aus der Masse herauszuragen
Jussi: Und es ist auch schwierig, die guten herauszufinden, denn es gibt zirka 1 Million Bands, aber nur 1000 davon sind gut, also musst du dir eine Menge Bands anhören, um die einzigartigen und interessanten herauszufiltern

Wie steht es mit den Clubs – mir ist aufgefallen, dass es in Helsinki weniger wurde, und dass es nun eher kleine Clubs gibt, wie diesen hier (PRKL) und Bäkkäri...
Toni: Yeah, dieser und Bäkkäri sind ziemlich neu, und sie haben einige der alten Clubs ersetzt, eventuell – aber ich habe keine Meinung dazu
Jussi: Ich war einige Jahre nicht besonders aktiv, was Konzerte besuchen oder spielen betrifft, bevor ich bei Hanging Garden einstieg, also ist mir diese Situation nicht geläufig. Aber vor einigen Jahren, als dieser Metal-Boom in Finnland explodierte, gab es im allgemeinen viel mehr Angebot seitens von Venues und Konzertorganisatoren. Vielleicht ist nur die Zahl von Angebot und Nachfrage nun ausgeglichener als noch vor 3 Jahren.

Wo spielt ihr eigentlich lieber – in grösseren Clubs oder in kleineren? Weil die Bühne hier ja nur klein ist, andererseits hast du engen Publikumskontakt ...
Toni: Es gibt bei beiden Vor- und Nachteile, klarerweise. Ich kann da nicht wirklich sagen, was besser ist, denn wenn du eine grosse Bühne hast, aber nicht so viele Leute da sind, ist es furchtbar (Jussi fängt an zu lachen) – aber in einem kleinen Club, wenn nur wenige Leute da sind, macht das nichts aus. Andererseits, in grösseren Venues hast du auch besseren Sound als in den kleineren, und wenn so ein Club auch rappelvoll ist, wird das ein tolles Erlebnis

Abschlussfrage, welche Pläne habt ihr in diesem Jahr, mehr Gigs, eine Europatour?
Toni: Wir hatten einige Diskussion über eine Europatour, aber das wird noch dauern, mindestens ein halbes Jahr, oder ein Jahr von jetzt an gerechnet
Jussi: Vielleicht im Herbst, vielleicht im Frühjahr 2014, wir haben noch nichts Konkretes. Wir spielen noch einige Gigs in nächster Zeit, also es passiert was. Und wir haben ein neues Musikvideo, das gerade herauskam – das etwas anders aussieht, als man von einer Doom Metal Band erwartet, GANZ anders, du wirst sehen (Gelächter)
Kiitos! (Danke)
Hier der Link zum Video “At Every Door”
http://www.youtube.com/watch?v=w10ullmpBS0

Die nächsten Shows:
02.03.2013 Nosturi, Helsinki /w Cult of Luna
08.03.2013 Semifinal, Helsinki /w Sons of Aeon

http://hanging-garden.net/


Autor: Klaudia Weber, photos by Kalle Pyyhtinen (utudesign.net), band
Eingetragen am: 2013-02-25

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